Schaurig schöne Bears Halloween
Die NFL schafft es vielleicht wie keine andere Liga die Spannung einer Saison auf einen so kleinen Zeitraum zu begrenzen, dass jedes einzelne Spiel emotionale Höhenflüge erlaubt, wobei das nächste Spiel wieder den Absturz in Death Valley bedeutet. Die Fanmassen tanzen zum perfekt orchestrierten Takt des Roger Goodell. Jedes Spiel zählt. Jedes Mal steht alles auf dem Spiel. Nach jeder Woche muss die langfristige Strategie hinterfragt werden.
Bei den Bears ist dieser Zyklus am letzten Wochenende wieder auf Anfang gestellt worden. Nach schwachen Spielen gegen die Titans, Texans und Colts war die eingängige Meinung bereits, dass Matt Eberflus niemals hätte weitermachen dürfen. Shane Waldron wurde der Lächerlichkeit preisgegeben. Die negative Reaktion von JSN aus der Off Season wurde aufgegriffen. Taktik Experten hinterfragten nicht nur das Playcalling, sondern auch die Plays and sich, landeten doch oftmals viele Wide Receiver im gleichen Bereich des Feldes und verwirrten einander selbst mehr als die Gegner. Die zwei Folgewochen mit Siegen gegen die verletzungsgeplagten Rams, genauso wie der hohe Sieg gegen die historisch schwachen Carolina Panthers drehten die Narrative herum.
Teil der besten Division aller Zeiten. Die Gespräche der Leadership Group der Bears mit Shane Waldron, die härteres Coaching von ihm verlangten, wurden positiv konnotiert. Wenn et läuft dann läuftet halt, warum sollte man weiter hinterfragen, dass Spieler offen Ihren Playcaller challengen. Das Spiel gegen die Jaguars manifestierte die neugewonnenene Stärke. Doch nun, nach dem absurden Schauspiel gegen die Commanders stellen wir alles zurück auf Anfang. Die Bears sind wieder am Boden. Alle müssen gehen.
Was ich mir wünschen würde, was aber in dem Psychologie der Massen – Konstrukt Social Media unmöglich ist, wäre ein Blick nicht auf die Extreme, nicht auf die einzelnen Spiele, sondern auf die Lehren, die sich bereits in der Vergangenheit andeuteten und in dieser Saison möglicherweise bestätigt werden. Diesen Blick muss Ryan Poles ansetzen, wenn es um die großen Entscheidungen in dieser Saison geht. Ich werde hier versuchen, die wichtigsten Erfolgsfaktoren einer Franchise zu bewerten, ohne dabei dem letzten Debakel gegen die Commanders eine höhere Wertigkeit zuzusprechen. Soweit das möglich ist – ganz habe auch ich mich vom schnellen Kopf-auf-den-Tisch senken des Montag-Relives noch nicht erholt.
Der Blick auf den Quarterback: Die Vorstellung gegen die Commanders tat für drei Viertel wirklich weh. Meinem Empfinden nach merkte man Caleb Williams die Nervosität enorm an. Das Spiel in seiner Heimat Washington. Vor dem Spiel gab es einen Besuch seiner High School. Auf der anderen Seite steht der Nummer 2 Pick, der Caleb am Anfang der Saison den Rang ablief.
Nach dem Spiel wurde zwar vereinzelt Kritik laut, Tyrique Stevensons Auftritt im Kasperle Theater D.C. und Matt Eberflus‘ Zitate aus dem großen 1 mal 1 der NoNos sorgten allerdings dafür, dass Caleb weitestgehend von negativen Kommentaren verschont blieb. Nüchtern betrachtet hat das Spiel meinem Empfinden nach zwei Dinge bestätigt:
1. Caleb Williams ist trotz seiner charakterlich äußerlich gelassenen und professionellen Art ein Rookie, der sieben Spiele in der NFL gespielt hat. Manche Momente sind für ihn noch sehr groß. Und so ergaben sich im letzten Spiel auch viele Ungenauigkeiten, die an das allererste Spiel gegen die Titans erinnerten. Langfristig wird zu beobachten sein, ob er öfter vom ersten Play an Konzentrationsfehler vermeiden kann. Aktuell ist das noch nicht der Fall. Und wäre Caleb nicht Caleb, dann würde man das auch als normal betrachten.
2. Jayden Daniels hat bisher die bessere NFL-Karriere. Bisher heißt 8 Spiele. Was er am Sonntag, sichtlich unter Schmerzen, über das gesamte Spiel hinweg gezeigt hat, war phänomenal und wird seiner Legendenbildung helfen. Auch, wenn ein undiszipliniertes Play eines Cornerbacks weniger dafür gesorgt hätte, dass die Allgemeinheit Calebs Sage weitergeschrieben hätte, anstatt die des laufstarken Kompetitors aus der Hauptstadt.
3. Caleb Williams zeigt trotzdem, warum Bears Fans glücklich mit ihm sind. Er zeigt, was die Zukunft bereithalten kann. Und er zeigt es in den größten Momenten. Caleb Williams leitete zwei Game Winning Drives. Er wurde ruhiger und seine besten Plays in der Phase, in der es um alles ging. Eine Fähigkeit, die Größen wie Tom Brady auszeichnete und die Bears Fans in der Vergangenheit unter anderem bei Justin Fields nie beobachten durften. Siegchancen im finalen Drive wurden in der Regel von ihm nulliert, auch wenn dies teils unter Mithilfe der Receiver geschah. Das Fazit zu unserem Quarterback: Caleb Williams sieht aus wie derjenige, der uns aus der Unterwelt ans Licht führt, aber er zeigt auch noch viele Unzulänglichkeiten, die man vielleicht unfairerweise so nicht von ihm erwartet hatte.
Der Blick auf den Headcoach: Matt Eberflus zu behalten wurde viel kritisiert. Und das von allen Seiten. Ob Data-loving Analyst, oder Steven A. Smith like Talking Head – die meisten schienen sich einig, dass es der falsche Move sei. Als es jedoch entschieden war, schafften es die Bears in für mich einzigartiger Weise, das Narrativ umzudrehen. Matt Eberflus brauchte einen Bart und eine neue Frisur, um sich zurück ins Herz der Bears Fans zu bringen. Die TV-Produktion um Hard Knocks tat ihr Übriges dazu. Zudem schien Eberflus etwas besser mit den Medien interagieren zu können. Und er hatte auf seiner Seite, dass seine Defense zum Ende des Vorjahres (auch, aber nicht nur durch Unterstützung der Gegner) zu einer der besseren der NFL mutierte. Aktuell bin ich mir nicht sicher, inwieweit er Schuldiger der negativen Stimmung ist. Das Team steht passabel da in Sachen Penalties. Unsere Challenges erscheinen mir immernoch teils sehr fragwürdig, aber in letzter Zeit erschien es zumindest kein großes Problem zu sein. Die Defense ist weiterhin gut. Das Team hielt bis zuletzt, trotz einiger Misserfolge, stets zusammen. Das bröckelt allerdings mittlerweile. Das letzte Spiel könnnte möglicherweise einen Glass-Shattering-Moment darstellen, da diverse Spieler sich später negativ äußerten. Bspw. zum Trainingseinsatz einiger Spieler, während zuvor, gerade durch Ryan Poles, immer die Kameradschaft der Spieler herausgestellt wurde. Vielleicht ist letztes Wochenende tatsächlich etwas unwiederbringbar kaputtgegangen. Matt Eberflus hat aber zudem zwei weitere Probleme, die ihm den Job kosten können.
Zum einen ist es ein softer Faktor – Matt Eberflus ist der Anti-Dan Campbell. Gerade in schwierigen Phasen hilft ihm die stilbezogen wiedergewonnene Fanliebe nicht, da Eberflus einer der schlimmsten Coach-Speak Verfechter der Liga ist. Er nutzt oft viele Worte, um nichts zu sagen. Ich kann mir auch vorstellen, dass er das am Wochenende versuchte, als er wiedergab, die Extrayards, die Washington durch den Wurf an die unverteidigte Seitenlinie gewann, hätten keine Bewandtnis gehabt. Das geht aber teilweise nach hinten los, weil er scheinbar keine Verantwortung zu übernehmen scheint. Unter Dan Campbell hätte es wohl eine emotionale Ansprache gegeben, an deren Ende er sich selbst die Schuld gegeben hätte und man zu Hause im Braveheart Stile ewige Treue hätte schwören wollen. Das schafft Eberflus einfach nicht. Das ist er nicht. Und das wird er nie sein. Er braucht daher Erfolge vielleicht noch mehr als andere Coaches in der Liga. Zum anderen steht und fällt die Bears-Karriere des Matt Eberflus mit seinem Coordinator. Matt Eberflus ist meinem Empfinden nach nicht enorm viel mehr vorzuwerfen als in der Vergangenheit. Er ist kein überragender Head Coach. Er ist sicherlich auch nicht der Schlechteste. Aber der nächste Themenblock könnte seinen Untergang bedeuten.
Der Blick auf OC Shane Waldron: Spieler beschwerten sich nach dem letzten Spiel über den Fullback / O-Line Goalline Run von Doug Kramer. Ich verstehe das, aber ganz ehrlich, wir haben Kramer mittlerweile als Fullback integriert, unserer eigentlicher Fullback wurde sogar entlassen – und der Playcall war vielleicht etwas out there, aber hätte er geklappt, dann wäre es eine Randnotiz für verzweifelte Fantasyspieler mit Roschon Johnson shares gewesen (that’s me btw.). Cole Kmet wird immer wieder komplett aus dem Game Plan gestrichen. Odunze wird teils von Strategieanalysten gelobt, kriegt den Ball aber auch nicht allzu oft. Einiges geht hier sicherlich auch auf Calebs Kappe, aber diese Offense darf nicht nur gegen Panthers glänzen. Das ist einfach unter dem Niveau, das ein NFL Playcaller mitbringen muss. Wir sind nicht besser als die Summe unserer Teile. Zu oft erscheint es, als ob die enorme Qualität der Playmaker das Boot noch über Wasser hält. Wie zum Beispiel als DeAndre Swift die Bears im letzten Spiel durch eine Soloaktion wiederbelebte. Die eine nicht nüchterne Aussage, die ich diese Saison sehr früh getroffen habe und von der ich mich nur entfernen werde, wenn enorme Verbesserungen stattfinden ist, dass Shane Waldron uns nicht gut genug macht, um ihn zu behalten. Wenn Shane Waldron nicht gut genug ist, um ihn zu halten, dann geht auch Matt Eberflus. Wenn Eberflus geht, ist Ryan Poles trotz hoch gepriesenem Rostermanagement angezählt und könnte bei der Suche nach dem nächsten Head Coach die Blicke von Kevin Warren auf seinen Fingern spüren.
Die Saison ist noch lang und wie oben beschrieben, kann jedes Spiel das Narrativ wieder komplett umdrehen. Für die Leser und Leserinnen dieses Artikels hilft der Artikel hier hoffentlich, sich mehr auf langfristige zu besinnen und aktuelle Entwicklungen nur anteilig einzubeziehen. Nicht alles ist schlecht nach dem Commanders Spiel. Nicht alles war gut nach dem Panthers Spiel. Und leider, leider, leider erscheint es momentan wieder wie eine Saison zu sein, in der ein Auge hoffentlich noch länger auf die Playoffs schielt, das andere aber auf die Top Head Coaching Kandidaten blickt in der Hoffnung, schlecht genug zu sein, um sich nicht der aktuellen Playcalling-Mittelmäßigkeit hinzugeben. Trotz dieser mindestens teilweise schaurigen Aussichten bleibt eine positive Erkenntnis, die Bears Fans sonst noch nie haben durften – unser Quarterback ist Teil der Lösung.
BB, 30.10.2024