Kurzartikel: Caleb Williams und die zweite Ankunft des Michael Jordan
Hält Caleb Williams seine aktuellen Passing Yards per Game konstant, würde er bereits in seinem zweiten Jahr die zweitmeisten Single-Season Passing Yards aller Zeiten eines Bears-Quarterbacks erreichen. Und er wäre weniger als 200 Yards davon entfernt, endlich die 4.000 Yards zu knacken. Selbst der kritischste Fan, oder ehemalige Anhänger des Justin Fields Zugs, wird wohl zustimmen, dass Caleb ein riesiges Potenzial mitbringt, sich noch klarer an der Spitze der Bears-QBs festzusetzen und die 4k bereits dieses Jahr zu knacken. Denn mit Ben Johnson im Ohr, sollte es nur einen Weg geben – nach ganz oben.

Die Probleme sind aber auch offensichtlich. Schon der Eyetest zeigt immer wieder, dass Caleb den Ball oft nicht schnell abgibt, sondern trotz deutlich verbesserter O-Line gerne aus der Pocket ausbricht und nach seiner Art Play sucht. Sollte er sich dahin entwickeln, wo wir ihn alle sehen wollen, wird denke ich der gelegentliche Roll-Out nach rechts bis knapp vor die Sideline, gefolgt von einem Power-Wurf dahin, wo nur sein Receiver ihn bekommen kann, zu seinem ligaweiten Markenzeichen werden. Aktuell wird aber vor allem auf seine lange Zeit des Ballhaltens verwiesen, die ihn immer wieder in das Top-Dezil in der Time-to-Throw Statistik bugsiert. Bei Statistiken auf X und Co. sollten Fans immer ein wenig Vorsicht walten lassen, denn „traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“. Hier zum Beispiel werden diverse Spielsituationen und Würfe, wie z.B. Screens gar nicht erst in die Wertung aufgenommen. Aber unterstützend zum Eye-Test passt es, dass Caleb in den hohen Haltezeiten rangiert – was nicht auf einen schlechten QB verweisen muss (Josh Allen braucht bspw. ähnlich lange), aber aktuell eher negativ auffällt. Gerade für Bears Fans – nach Jahren der QB-Probleme, die man aktuell in New York betrachten kann.
Auch bei den expected points added fällt Caleb gegenüber seiner Draft Class an QBs mindestens nicht positiv auf. Die Themen sind dabei unterschiedlich: Am Anfang der Saison war es eher, dass er einige Würfe liegen ließ, weil er offene Targets für tiefe Yard-Gewinne nicht identifizieren konnte. Dafür hielt er Drives durch das Suchen von kurzen Targets am Laufen. Gerade im letzten Spiel gegen die Saints schien Caleb dann keinen Rhythmus zu finden und versuchte immer wieder selbst zu kreieren. Schöne Würfe, nach denen sich Bears Fans lange gesehnt haben, wechselten sich ab mit ewigem Halten des Balles und Scrambles, die an Justin Fields erinnern.
Caleb Williams hat enormes Potenzial und nicht ohne Grund wird Josh Allen’s Karriereweg gerne als Beispiel für eine positive Entwicklung herangezogen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Caleb alle Tools mitbringt und gerade einen Weltklasse-Arm im Repertoire hat. Josh Allen tat sich zwei Saisons lang sehr schwer und brach dann in die Top-Klasse der Quarterbacks vor. Der offensichtliche Unterschied ist aber, dass Josh Allen mit extremen Fragezeichen in die Liga kam. Seine Genauigkeit wurde von Experten als off beschrieben und der Pick der Bills wurde von vielen kritisiert. Josh Allen sollte viele Lügen strafen, zeigte aber auch eine Verbesserung der Accuracy, wie sie bis heute wohl einmalig in der NFL ist.
Caleb hingegen kam als eines der besten Prospects aller Zeiten in die NFL. Die Fragezeichen um Caleb waren kaum spielerischer Art – vielmehr brachten Talking-Heads Fingernägel, emotionale Ausbrüche und Charakterfragen ins Spiel – auf dem Platz waren sich die meisten jedoch einig – hier betritt ein Superstar die große Bühne. Das hat sich bisher nicht bewahrheitet und Caleb wurde in Jahr 1 bereits von Jayden Daniels in den Schatten gestellt. Während dieser in 2025 mit seinem gesamten Team noch versucht, seinen Halt zu finden, dreht in New England Drake Maye auf. Bei den vielen Diskussionen, die die Bears in einem der größten NFL-Märkte immer wieder auf sich ziehen, muss eine Sache aktuell festgehalten werden: Stand jetzt – und das ist ein Thema, das Bears Fans, wie ich auch, nicht gerne wahrhaben wollen, wären die Bears gerade mit Drake Maye in seiner aktuellen Form ein sicherer Competitor um die Playoffs und vielleicht sogar mehr.
Während bei uns das Run-Game Fahrt aufnimmt, die O-Line sich zu den besten der Liga gesellt und die Defense sich auf einer Hot-Streak befindet, scheint sich die Offense mit einem der besten Playcaller der jüngeren Vergangenheit noch am Quarterback zu stoßen. Das ist okay in Jahr 2 nach katastrophalen Umständen im Coaching in Jahr 1, aber wenn man zu den anderen 2024er QBs schaut: Die hatten es teilweise auch nicht besser, oder, in Mayes Fall, gerade in Sachen Waffenarsenal deutlich schlechter – und haben damit mehr gezeigt.
Die Würfe, die Maye aktuell anbringt, lassen ihn mittlerweile in MVP-Diskussionen auftauchen. Die höchste combined Accuracy in Blitz und Pressure Situationen nach PFF, mit Caleb am unteren Ende der Liste. Die vierthöchste PFF Grade overall in dieser Saison (Caleb: 19). Nummer 9 QB im Ranking von Adrian Franke, mit Caleb auf der 18.
Caleb bringt alles mit, um die Liga auf links zu krempeln. Und bis zum Ende der Saison traue ich ihm gerade im Tandem mit Ben Johnson zu, über sich selbst und seine Peer-Group hinauszuwachsen. Aber die Wahrheit ist auch: Im Moment würde ein Leistungsschritt auf das aktuelle Level von Drake Maye in Chicago wie die zweite Ankunft Michael Jordans gefeiert werden.
BB, 24.10.2025
