Die OC Suche – Mehr Wie als Wer
Mit den Jahren lernt man als Fan, dass auch in Milliarden-Dollar Unternehmen, wie dem Chicago Bears Football Club, Incorporated, immer wieder die gleichen Fehler wiederholt werden können. Diese Saison könnte es das mindestens dritte Mal in Folge sein, dass ein neuer Quarterback nicht mit einem neuen Head Coach gepaart wird, sondern dem außerhalb der Halas Hall als Wackelkandidaten geltenden Matt Eberflus.
Unsere Trainersuchen wurden zudem immer wieder von Personen geführt, deren Expertise nicht im Football liegt, wie beispielsweise unserem Chairman und Owner George McCaskey, dem ehemaligen CEO und gelernten Finanz-Controller Ted Phillips, oder, wie bei der Suche, die in der Anstellung von Matt Eberflus (und Ryan Poles als GM) endete, vom damals 79-jährigen Football Urgestein Bill Polian, der erst kürzlich mit dem einfach zu wiederlegenden Argument auffiel, dass man MVP Kandidat Lamar Jackson nur zum Werfen des Balles aus der Pocket zwingen müsse, um eine Chance gegen die Ravens zu haben.
Bei allem was so an fragwürdigen Dingen in unserer Franchise passiert, wir sollten uns den Luxus gönnen Situationen wertzuschätzen, in denen die Bears eine offensichtliche Weiterentwicklung zeigen. Und genau das scheint im Prozess der Offensive Coordinator Suche der Fall zu sein.
Reisen wir einmal zurück in den Januar 2022. Die Bears Saison ist so geendet, wie es im Jahr vorher bereits viele kommen sahen. Unser Coach Matt Nagy konnte seinen Hot Seat nicht mehr vom Herunterkühlen überzeugen, Justin Fields vermochte in seiner Rookie Saison auch nicht auszuhelfen und Bears Fans standen nach einer 3-14 Saison vor den immer wiederkehrenden Scherben unserer Franchise. Nachdem die führenden sportlichen Leiter gehen mussten, wurden diverse Head Coach Kandidaten interviewt. Nachdem am 25.01.2022 erstmalig weißer Rauch aus der Halas Hall aufstieg und die Verpflichtung des jungen General Managers Ryan Poles verkündet wurde, durfte dieser zwei Tage später wieder die Feuerstelle anfachen, denn Matt Eberflus, der ehemalige Defensive Coordinator der Colts, war gefunden. Im Gleichschritt sollten die neuen starken Männer der Bears nun die weiteren Coaching Positionen besetzen. In den News Outlets wurden diverse hoch- und, wie man heute weiß, höchstkarätige Namen für die Offensive Coordinator Rolle gehandelt, der man höchste Attraktivität zusprach, hatte man doch mit Justin Fields ein junges Top-Prospect under Center. Für Coaches sollte die Stelle ansprechend sein und für die Franchise naturgemäß von höchster Wichtigkeit – schließlich beeinflussen Quarterbacks den Erfolg ihres Teams massiv.
Die Liste an kurzfristig gehandelten Namen liest sich heute wie ein Who-Is-Who der Liga. Mike McDaniel, der Head Coach der Dolphins wurde, fand sich in der Debatte genauso wieder wie Kevin O’Conell, der kurze Zeit später bei den Vikings anfing. Eigentlich hatten die Bears ihren Mann aber wohl schon recht eng eingekreist – und es war kein großer Name. Am 30. Januar 2022 wurde der vorherige QB Coach von Aaron Rodgers, Luke Getsy, neuer Offensive Coordinator der Chicago Bears. Zwei Tage nach seinem Interview. Drei Tage nachdem Matt Eberflus als Head Coach verkündet wurde. Fünf Tage, nachdem Ryan Poles GM wurde. Ein absurd schneller Zeitraum, der nahelegt, dass hinter den Kulissen vielleicht schon vorher Absprachen getroffen wurden, oder man in Luke Getsy einen so guten Trainer zu sehen vermochte, dass die Drohkulisse ihn entweder an Neu-Bronco Russel Wilson und den Green Bay Kollegen und neuen Head Coach der Broncos, Nathaniel Hackett, zu verlieren, oder ihn in der Coaching Hierarchie der Packers aufsteigen zu sehen, groß genug war, um diese Dringlichkeit an den Tag zu legen. Im Nachhinein ist vieles eindeutiger, als es in der Situation selbst war, aber die chronologische Reihenfolge liest sich mindestens fragwürdig. Reichte dieser kurze Zeitraum und das Interview mit, soweit ich das recherchieren konnte, nur maximal einem weiteren Kandidaten (Pep Hamilton sollte am 29.01. interviewt werden, einen Tag später stand jedoch Getsy fest) aus, um ein passendes Bild zu den verfügbaren Kandidaten zu bekommen?
Aktuell sind wir wieder auf der Suche nach einem Offensive Coordinator. Die Suche fokussiert sich auf Kandidaten mit Sean McVay Verbindungen, aber auch andere, teils streitbare Akteure werden interviewt. Meine Meinung zu einer möglichen Anstellung Kliff Kingsburys habe ich beispielsweise zuletzt auf X kundgetan, aber die Einzelbetrachtung von Kandidaten sollte erst einmal in den Hintergrund rücken. Viel mehr sollten wir uns auf den Prozess der OC-Suche konzentrieren. Dauerte diese das letzte Mal wohl keine drei Tage, so sind wir beim Schreiben dieses Artikel bereits beim neunten Tag nach der offiziellen Meldung angekommen, dass Eberflus bleibt. Noch wichtiger, als die Anzahl der Tage ist die Anzahl der Interviews. Interviewt wurden und werden nach aktuellem Stand (19.01., 16:52 Uhr): 1. Shane Waldron, Seahawks OC; 2. Klint Kubiak, 49ers Passing Game Coordinator; 3. Liam Coen, University of Kentucky OC und QB Coach; 4. Greg Olson, Seahawks QB Coach; 5. Greg Roman, ehemals Ravens OC; 6. Thomas Brown, Panthers OC; 7. Marcus Brady, Eagles Senior Offensive Assistant; 8. Kliff Kingsbury, Offensive Analyst und QB Coach bei der University of Southern California (USC, College von Top Prospect Caleb Williams); 9. Zac Robinson, Rams Passing Game Coordinator und Quarterbacks Coach. Genaueres zu den Kandidaten findet Ihr unter anderem bei y!sports, bearswire, oder NBC Sports Chicago.
Wir alle haben unsere Vorlieben in Sachen Playstyle, für welchen Quarterback der jeweilige OC möglicherweise besser wäre, oder in wem wir das größte Potenzial sehen. Am Ende werden manche von uns enttäuscht werden und andere, beim Blick auf die anstehende Coordinator Verpflichtung, in X und Co. jubelnd aufschreien. Wer Recht behält wird sich erst mit der Zeit ergeben. 2023 dachten in unserer guten Phase noch viele, dass man Luke Getsy kleinreden müsse, damit uns dieser Top Coach nicht direkt wieder geklaut würde. Im zweiten Jahr wurde er zum Zerstörer des Justin Fields degradiert. Vielleicht wird der nächste OC auch Zeit brauchen. Wir werden es sehen.
Was man aber bereits jetzt mit einigem Selbstbewusstsein sagen kann ist, dass die Bears ihre Arbeit dieses Jahr gründlicher machen. Die Namen mögen gefallen, oder auch nicht, aber neun Interviews mit teils sehr unterschiedlichen Koordinatoren zeigen, dass sich Suchprozess einiges zum Positiven geändert hat und allein das darf uns hoffen lassen. Ob am Ende dann auch der passende Kandidat gezogen wird – wer weiß es – und im Football geht es auch oftmals um Glück, aber um langfristig erfolgreich zu sein braucht es gesunde Prozesse in der Verpflichtung von führenden Mitarbeitern. Das gilt für jedes Unternehmen, auch für das, an dem unser Herz klebt, dem Chicago Bears Football Club, Incorporated. Die Bears scheinen, wenn auch nur in der zweitwichtigsten Position des Trainerteams, einen großen Schritt in diese Richtung unternommen zu haben.